Vorwort

Das schöne Wort ‘Kosmos’ bedeutete im Griechischen ursprünglich Anordnung oder auch Schmuck. Vor etwa zweieinhalb Jahrtausenden begann man, den Begriff im Sinne von Weltall oder Weltganzes zu verwenden. Der nächtliche Himmel war mit Sternen geschmückt, die von dem bildhaften Erleben zu scheinbar unveränderlichen Figuren aus der Mythologie oder dem Tierreich zusammengefaßt worden waren. Eine Handvoll Sterne unterschied sich jedoch von allen anderen, denn sie durchwanderten die Sternbilder auf mehr oder weniger komplizierten Bahnen, im Laufe längerer Zeiträume jedoch in einer vollkommen regelmäßig wiederkehrenden Art und Weise. Aus den wahrzunehmenden Bewegungen wurden Vorstellungen über die Anordnung der wandernden Himmelslichter, der Planeten, und der als eine zusammengehörige Einheit gedachten Fixsternsphäre abgeleitet. Die überwiegende Mehrheit der griechischen Denker hatte keine Zweifel, daß der Kosmos wohlgeordnet sei, vernünftig aufgebaut und für den menschlichen Geist in gewissem Umfang begreifbar. Einige von ihnen, angefangen mit Pythagoras von Samos, kamen des weiteren zu der Anschauung, daß die Ordnung eine musikalische sein müsse, daß am Himmel gleichsam eine Art Sphärenmusik erklänge, die vor allem durch die regelmäßigen Bewegungen der Planeten hervorgerufen werden solle.

Niemand käme heute mehr auf die Idee, die früheren Modelle vom Aufbau des Universums – mit der Erde im Zentrum und auf die eine oder andere Weise darum befindlichen Kreisen oder Kugelschalen – noch ernst zu nehmen. Was die generelle Ordnung im Kosmos betrifft, ist die Sache nicht ganz so eindeutig. Auf der einen Seite weiß man inzwischen von Supernova-Explosionen und ungeheuren Gammastrahlenausbrüchen; man vermutet sogenannte Schwarze Löcher, die alles, was ihnen zu nahe kommt, in sich verschlingen, und viele andere Merkwürdigkeiten. Für eine harmonische Ordnung im Weltall scheinen diese Dinge nicht gerade zu sprechen. Betrachtet man hingegen Aufnahmen von Galaxien, diesen leuchtenden Sterneninseln, mit denen die Unermeßlichkeit des Weltraumes geschmückt ist, ahnt man, daß das, was der Gestaltung des Universums zugrunde liegt, ebenso groß wie seine Dimension sein dürfte. Weiterhin hat der Mensch durch die Erfolge seiner Wissenschaften den Ansatz der griechischen Philosophen bestätigt, daß die Welt zumindestens teilweise von vernünftigen Gesetzen gelenkt wird, was zunächst nichts anderes heißt, als daß wir diese – heute Naturgesetze genannt – mit unserer Vernunft erkennen können. Darauf aufbauend hat der moderne Mensch sein Bild vom Kosmos entworfen. Eine Musik des Weltalls oder eine besondere Ordnung in unserem Planetensystem hat in dieser Weltanschaung allerdings keinen Platz mehr gefunden.

Vor einigen Jahren begann ich mir die Frage zu stellen, was wir mit Hilfe der wissenschaftlichen Methoden wirklich erkannt haben. Damit ist nicht die Entdeckung der Gesetzmäßigkeiten gemeint, die uns ermöglichen, chemische Stoffe zu Reaktionen zu zwingen oder technische Apparaturen zu bauen, sondern was wir über die Entstehung des Weltalls, den Aufbau von Strukturen wie unser Sonnensystem, die Herkunft des Lebens und seine Entwicklung bis hin zum menschlichen Bewußtsein herausgefunden haben. Im Laufe der Zeit kam ich zu einer vorläufigen persönlichen Einschätzung über einige der Theorien, die in den verschiedenen Bereichen aus den Entdeckungen der Forscher hervorgegangen sind. Eine meiner Grundannahmen bei diesem Studium resultierte aus meiner Zuneigung zur Musik und der vorherigen Beschäftigung mit der Geschichte der Musiktheorie. Schon dabei war ich auf die uralte Vorstellung einer harmonischen Geordnetheit der himmlischen, d.h. auch in diesem Fall der planetarischen Bewegungen gestoßen. Diese setzte ich als gegeben voraus, bis mir klar wurde, daß ich in Wirklichkeit nichts darüber wußte. So begann ich zunächst in der Literatur zu suchen, was über diesen Gegenstand tatsächlich bekannt ist. Auf einen etwas vereinfachten Nenner gebracht, fand ich Befürworter der Himmelsharmonien, meist Geisteswissenschaftler im weitesten Sinne, und andere, die sie als reine Phantasie bezeichnen und die in der Regel dem naturwissenschaftlichen Lager zuzuordnen sind. Eine gründliche und gleichzeitig astronomisch und mathematisch fundierte Behandlung des Themas konnte ich jedoch nicht finden, weder aus der einen noch aus der anderen Warte.

Die einen glauben daran, die anderen nicht. Und an was sie glauben oder nicht glauben, ist in vielen Fällen das, was in dem diesbezüglichen Werk Johannes Keplers enthalten ist. Kepler war einer der ersten Naturwissenschaftler im modernen Sinne. Zu Beginn des 17. Jahrhunderts entdeckte er die grundlegenden Gesetze der Planetenbewegungen. Er fand u.a. heraus, daß ihre Bahnen Ellipsen sind und daß jeder Planet eine etwas anders geformte Ellipse aufweist, was sich durch das Maß der Exzentrizität quantifizieren läßt. Kepler war zugleich einer der letzten der Astronomen, die von einer Ordnung im Kosmos überzeugt waren, die mehr beinhaltet als das bloße Wirken physikalischer Kräfte. Die verschiedenen Exzentrizitäten müssen so sein, wie sie sind, aus Vorsorge für die Harmonien zwischen den Bewegungen der Himmelskörper, wie er sich ausdrückte. Mit den von ihm gefundenen Planetengesetzen gelang es Kepler, die räumlichen Verhältnisse, die Geschwindigkeiten und andere Parameter genauer zu berechnen, als es vorher je möglich gewesen war. Und in einer dieser Größen fand er im Vergleich der verschiedenen Planeten eine vermeintlich sehr exakte Übereinstimmung mit den Schwingungsverhältnissen musikalischer Töne. Damit hatte er die Idee von einer harmonischen Ordnung des Sonnensystems in das wissenschaftliche Zeitalter hineingetragen und nach wie vor ist sein Konzept das wohl bekannteste in dieser Hinsicht.

Die Untersuchung von Keplers Harmonie der Welten ist daher eines der zentralen Themen dieser Arbeit. Darüber hinaus wurde die Auseinandersetzung mit seinen Vorstellungen zum Ausgangspunkt für eine Reise in ein weitgehend unbekanntes Land, als welche sich die anschließende eigene Suche nach der verborgenen Ordnung in unserer kosmischen Heimat dann herausstellen sollte. Und dieses geheimnisvolle Reich, sozusagen vor unserer Haustür, enthüllte seine Schätze auf den unterschiedlichsten Ebenen: in den räumlichen Strukturen, in den Geschwindigkeitsverhältnissen, in der Abgestimmtheit der langfristigen Bewegungen der einzelnen Planeten um die Sonne und auch in den Eigenbewegungen, d.h. den Rotationen der Himmelskörper. Am erstaunlichsten ist jedoch, daß sich so etwas wie ein rotes Band von geometrischen Bezügen herauskristallisierte, welches die einzelnen Parameter miteinander verknüpft und in gewisser Weise eine Geschichte erzählt. Beim Aufspüren und Nacherzählen dessen, was uns das Sonnensystem hiermit sagen will, haben mich – so scheint es mir jetzt im Rückblick – Johannes Keplers tiefgründige Gedanken, seine philosophischen Überzeugungen, seine Entdeckerfreude und seine Menschlichkeit, die auch nach 400 Jahren unmittelbar ansprechen können, oft begleitet. Insofern ist dieses Buch durch ihn entstanden und ihm gewidmet.

Vielleicht wird man überrascht sein zu hören, daß Jahrhunderte nach der Auffindung der Planetengesetze bzw. des Gravitationsgesetzes durch Isaac Newton grundsätzliche Strukturen im Planetensystem noch nicht erkannt gewesen sein sollen. Dies hat verschiedene Gründe, die teilweise psychologischer Natur sein mögen. Kurz und knapp formuliert, findet man gewöhnlicherweise nur das, wonach man sucht. Es gibt jedoch auch einen handfesten mathematisch-astronomischen Grund. Viele der Berechnungen, auf denen die vorgestellten Ergebnisse basieren, wurden praktisch erst vor ca. 15 Jahren durchführbar. Theoretisch waren sie das auch lange vorher schon, allerdings mit einem immens höheren und in größerem Stil quasi nicht zu bewältigenden Aufwand. Deshalb haben, auch wenn die von Newton Ende des 17. Jahrhunderts aufgestellten Prinzipien sich nicht veränderten, die besten Mathematiker seitdem kontinuierlich an der Optimierung und Vereinfachung der entsprechenden Rechenmethoden weitergearbeitet. “Erst” 1982 und 1987 veröffentlichten P. Bretagnon u.a. vom Bureau des Longitudes in Paris Verfahren, die es mit relativ einfachen Mitteln ermöglichen, die Positionen und Bahndaten der Planeten für mindestens 10.000 Jahre, d.h. 5.000 Jahre in die Vergangenheit und in die Zukunft, mit unglaublicher Präzision – und in Verbindung mit elektronischen Rechengeräten mit atemberaubender Schnelligkeit – zu ermitteln. Allen, die an dieser Entwicklung über die Jahrhunderte beteiligt waren, gebührt mein tiefer Dank.

Die Berechnungsmethoden sind also inzwischen so genau gewordenen, daß man ihre Resultate innerhalb des angegebenen Zeitraumes als wissenschaftlich abgesichert betrachten kann. In dieser Hinsicht ist das Sonnensystem der bisher einzige Bereich im uns umgebenden Kosmos, über dessen Ordnung wir wirklich exakte Aussagen machen können. Auch im Hinblick auf die Weltanschaung des modernen Menschen, welche immer mit dem Bild vom Weltall auf das engste zusammenhängt, kommt diesem Umstand eine tiefe Bedeutung zu. Die im Zusammenspiel der Planeten und ihres Zentralgestirns vorgefundene Signatur der Sphären weist zudem über lediglich Berechenbares weit hinaus, oder wenn man will – sie läßt wie eine musikalische Komposition einen Spielraum für eine nachschöpferische Interpretation offen; sie lädt dazu geradezu ein. Dieser Einladung bin ich mit großer Freude gefolgt. In der Darstellung wurde jedoch, so hoffe ich, stets deutlich gemacht, wo die Trennungslinie zwischen persönlichem Blick, mathematisch-astronomischem Fundament und dessen Ausgestaltung verläuft.

Die Konzeption des Textes ist so angelegt, daß die aufgeführten Ergebnisse nach Möglichkeit auch von Menschen ohne spezielle Vorbildung nachvollzogen werden können (manchmal vielleicht mit ein wenig Geduld). Für das Verständnis sind im wesentlichen nur die einfachen Grundrechenarten und einige elementare geometrische Kenntnisse, welche zudem im Anhang vermittelt werden, erforderlich. Gleichwohl ist die Bezeichnung ‘einfach’ auf dem Gebiet der Mathematik immer relativ, der Eintritt in die Welt der Zahlen und geometrischen Figuren ist bekanntlich nicht von vornherein für jeden gleichermaßen faszinierend. Daher wurden alle etwas komplizierteren, für ein Verstehen nicht unbedingt grundlegenden Berechnungen in den Anhang verwiesen. Dieser soll u.a. einen detaillierteren Zugang und eine Überprüfung der einzelnen Schritte ermöglichen und ist aus diesem Grund vergleichsweise umfangreich ausgefallen.

Abschließend danke ich Kerstin Kreft, die sich beim Lesen des Manuskripts durch die ‘relativ einfachen’ Rechnungen hindurchgekämpft hat, obgleich sie ihr manchmal relativ schwierig vorkamen. Ich danke ihr ebenso herzlich für ihre Genauigkeit, ihr feines Gespür für die deutsche Sprache, ihre aufmerksamen Fragen und die vielen Gespräche zu den hier behandelten Themen. Manfred Lellek danke ich für seine Ernsthaftigkeit und seine Begeisterung, mit der er die himmlischen Entdeckungen aufgenommen hat. Ich danke ihm besonders für die Bestätigungen, die er mir im Verlaufe des Werdens bzw. Kennenlernens der einzelnen Kapitel gegeben hat. Möge das, was schließlich entstehen konnte, ein neues Licht auf die Schönheit und vielleicht auch Einzigartigkeit werfen, mit der unsere kosmische Heimat geschmückt worden ist.

Hamburg, den 8. 04. 2000 Hartmut Warm