Die Signatur der Sphären
Von der Klangstruktur des Sonnensystems
Dass unser Planetensystem mehr ist als nur eine zufällige Konstellation kosmischer Kugeln und Brocken, die blinden Druck- und Stoßgesetzen folgen, ist in den letzten Jahrhunderten von nachdenklichen Geistern immer wieder vermutet worden. Das berühmteste Beispiel ist Johannes Keplers Versuch in seiner ”Welt-Harmonik”, die Proportionen und das innere Bauprinzip des Sonnensystems geometrisch-musikalisch zu erfassen. Die von Kepler vorgelegten Ergebnisse sind sicher eindrucksvoll und staunenswert, doch ihre Wirkung war eher ideeller, die Spekulation anregender Natur, und außer den berühmten ”Keplerschen Gesetzen” ist davon nichts in die herrschende Naturwissenschaft und Astronomie eingegangen. Zwar gehen moderne Astronomen gelegentlich auch Resonanzphänomenen im Sonnensystem nach, auch im Kontext der Frage, wie Sonnensysteme überhaupt entstehen (können), aber an eine geistig-klangliche Struktur, die die eines ”Weltenbaumeisters” wäre, wird nicht gerührt. Eingehendere Forschungen zu dieser Frage sind mehr oder weniger tabu, würden sie doch das im Kern materialistische und reduktionistische Denken unterminieren, das global das Feld bestimmt.
Im Sommer 2001 erschien nun ein rundum bemerkenswertes, ja faszinierendes Buch aus der Feder des Privatgelehrten Hartmut Warm, das schon im Titel Stoßrichtung und Anspruch des Autors verkündet: ”Die Signatur der Sphären. Von der Ordnung im Sonnensystem”. Das Werk hat nichts Mystisches oder Poetisches, es raunt nicht von Zusammenhängen, die sich der zahlenmäßigen Verifizierbarkeit entziehen. Vielmehr präsentiert es ein vielgliedriges und glänzend recherchiertes Material, das auch den Skeptiker zum Zweifeln an seiner eigenen Skepsis veranlassen könnte. Hartmut Warm postuliert nicht und verkündet nicht apodiktisch, wie man sich den inneren Bau des Sonnensystems vorzustellen hat, sondern er argumentiert sympathisch unideologisch. Die pure Fülle und Präzision seiner Belege ist es, die den Leser ”in die Knie zwingt” und ihm Respekt abnötigt und zugleich ein Ahnen in ihm auslöst, dass hinter all dem mehr stecken könnte als nur ein ästhetisches Spiel mit geometrischen Formen und Strukturen.
Ein kleines Beispiel sei gebracht, das bei Hartmut Warm eher wie eine Vorspeise zum Hauptgericht präsentiert wird, das aber dennoch – schon für sich betrachtet – staunenswert ist und bislang völlig unbekannt war: Wenn man die kleinen Halbachsen aller Planeten und die sich daraus ergebenden Proportionen zusammenführt, und zwar sowohl von innen nach außen (Merkur bis Pluto) als auch von außen nach innen (Pluto bis Merkur), ergibt sich, dass der erste und der vierte Planet – in beiderlei Richtung – jeweils im Verhältnis der Doppeloktave 4:1 zueinander stehen. Und (Zitat H. Warm, S. 23/24): ”Uranus teilt den äußeren Bereich von Pluto bis Saturn zudem recht genau im Oktavverhältnis 2:1. Mars und Erde bilden – wenn auch nicht mehr ganz so genau … – das Quintenintervall 3:2, woraus sich (mit etwa derselben Abweichung) ergibt, dass die Proportion Erde zu Merkur etwa 8:3 beträgt, also eine um eine Oktave erhöhte Quarte.”
Zahlreiche Diagramme, die didaktisch geschickt präsentiert werden und sowohl ästhetischen als auch exakten Kriterien Genüge leisten (auf der Basis der neuesten astronomischen Messwerte), machen erkennbar, wie vielschichtig und komplex die geometrisch-harmonikalen Zusammenhänge im Planetensystem sind. Man kann das Buch fast an beliebiger Stelle aufschlagen und wird stets auf spannende und (zentral wichtig) das eigene Denken und Weiterdenken stimulierende Ergebnisse stoßen. Jeder Dogmatismus wird vermieden und derart dem wohlwollend mitdenkenden Leser die letzte Schlussfolgerung aus all dem, was er staunend zur Kenntnis nehmen muss, selbst überlassen. Wie immer man nun die Gesamtheit der zahlenmäßigen/geometrischen Bezüge und ihrer Klangentsprechungen philosophisch bewertet, eines erreicht das Buch auf jeden Fall: Eine intellektuelle und auch ästhetische und emotionale Betroffenheit, verbunden mit der Frage: Worauf deutet das? Was ist die ”ordnende Hand” hinter diesen Phänomenen, die die Rede vom ”Zufall” eher dürftig und nichts sagend erscheinen lassen? Nüchtern und ohne Übertreibung lässt sich das Buch von Hartmut Warm als ”Pflichtlektüre” für jeden Astronomen und an Astronomie Interessierten bezeichnen. Wer Keplers ”Welt-Harmonik” für bedeutsam hält, sollte auch dieses Werk zur Kenntnis nehmen. Es lohnt sich auf ganzer Linie.
Jochen Kirchhoff
in raum & zeit, Nr. 117, Mai/Juni 2002, S. 93/94