die Drei – Zeitschrift für Anthroposophie in Wissenschaft, Kunst und sozialem Leben, 11-2003

Kosmisches Heimatgefühl

Es ist es eine Generation her, seit die ersten Astronauten Ende der sechziger Jahre den Mond betreten haben. Der vielzitierte Satz des Astronauten Armstrong “That’s one small step for man – one giant leap for mankind” (“Dies ist ein kleiner Schritt für einen Menschen und ein großer für die Menschheit”), hat aus heutiger Sicht eine andere Bedeutung erfahren, als von Armstrong ursprünglich beabsichtigt. Denn dieser Schritt war weniger ein Schritt irgendwo hin als vielmehr ein Schritt weg – weg von der Erde. Der Ausspruch des Astronauten Mitchell: ”Jetzt weiß ich warum wir zum Mond flogen, um die Erde von außen zu sehen”, gibt die zentrale Empfindung der meisten Astronauten wieder. Mit dem großartigen Anblick der blauen Erde von der kosmischen Warte aus wurde für das menschliche Bewusstsein eine Schwelle übertreten. In dieser Tatsache manifestiert sich besonders eindrucksvoll die im 20. Jahrhundert generell begonnene Ablösung und Entfremdung von der Erde. Sei es die Vorstellung des x-fachen Overkills im Kalten Krieg, die Endzeitszenarien des “Club of Rome” und der Ökologischen Bewegung oder die technischen Fortbewegungsmittel, die uns von den irdischen Bedingungen klimatisiert und erschütterungsfrei abheben – all diese im letzten Drittels des 20. Jahrhunderts gewonnenen Erfahrungen haben den Prozeß der Heimatlosigkeit gegenüber der Erde vorangetrieben. Das moderne materielle Bild eines lebensfeindlichen Kosmos, von Milliarden Sonnen in wiederum Milliarden Galaxien lässt diese Entfremdung von der Erde zu einer kosmischen Heimatlosigkeit wachsen. Damit schließt sich ein Bogen des 20. Jahrhunderts, denn nun hat die Empfindung der Heimatlosigkeit alle Lebens- und Naturreiche ergriffen: Neben einer Heimatlosigkeit im Leib und Geschlecht und einer Heimatlosigkeit in Familie, Kulturkreis und Volk kann auch von einer kosmischen Heimatlosigkeit gesprochen werden. Letztere scheint weniger bedrohend, da sie den Alltag nicht betrifft. Das ist aber ein Irrtum, denn jeder Versuch einer ganzheitlichen Weltsicht, einer umfassenden Identifikation mit der Wirklichkeit wird von dieser zu unserer Zeit gehörenden Entfremdung gegenüber dem Kosmos untergraben.

Eine neue Beziehung zum Planetensystem und weiteren Kosmos zu gewinnen, die die Vorstellung eines “unser Kosmos” zulässt, ist deshalb nicht nur für unser Selbstgefühl und ein spirituelles Weltbild wichtig, sondern auch für das tagtägliche Handeln. Die vollen Bücher- und Zeitschriftenverkaufsregale mit kosmologischen Themen illustrieren die Sehnsucht nach neuen Beziehungen zum All. Damit diese tragfähig werden, müssen sie auf modernen Erkenntniswegen ruhen, die sowohl den Kopf, wie das Herz ansprechen.

Die Signatur der Sphären

Das Buch “Signatur der Sphären” gehört zu diesen neuen Wegen. Neben historischen und wissenschaftlichen Streifzügen untersucht Hartmut Warm darin die räumlichen und zeitlichen Beziehungen und Abstimmungsverhältnisse der Planeten im Sonnensystem. Dabei beschreitet er zwei Wege: zum einen unterzieht er die bekannten Vorstellungen harmonikaler Ordnungen des Planetensystem einer genauen Prüfung. Dabei schließt er – und das ist auf diesem Feld völlig neu – die Methoden der statistischen Analyse mit ein. Natürlich gibt es kaum etwas Langweiligeres als statistische Untersuchung, aber hier hilft sie Klarheit in ein von Wünschen und Glaubenssätzen besetztes Feld zu bringen. Ein Beispiel: Von Johannes Kepler stammt die Überlegung, den Geschwindigkeitsunterschied der Planeten, zwischen ihrer sonnennächsten und sonnenfernsten Position als Annäherung an musikalische Proportionen aufzufassen. Warm zeigt nun, daß die tatsächliche Abweichung so groß ist, daß angesichts der zahlreichen zur Auswahl stehenden Intervalle, wie beispielsweise 2:3(Quinte), 3:4 (Quarte), usw., eine zufällige Anordnung der Planeten nur wenig unmusikalischer wäre als die bestehende. Diese ernüchternde Bilanz führt ihn dann allerdings dazu, daß sich sehrwohl eine außerordentlich exakte Tonleiter in den Umlaufszeiten der Planeten finden läßt, bei der nun nicht nur Geschwindigkeit in Sonnennähe und –ferne in Betracht kommen, sondern auch im Punkt der kleinen Halbachse der Bahn (eine kleine Halbachse umfasst die Hälfte der kurzen Symmetrieachse einer Ellipse). Die kurzen Halbachsen der Planeten in Betracht zu ziehen ist eine der wichtigen Entdeckungen von Warm, denn er kann zeigen, daß dieses Bahnmaß der Planeten auch bei der räumlich-symmetrichen Anordnung eine zentrale Rolle spielt.

Der zweite Weg verläuft durch astronomisch-musikalisches Neuland. Hartmut Warm schreitet von der Betrachtung der unmittelbaren Bewegungsverhältnisse zur Aufstellung von Doppelverhältnissen voran. Nun wird beispielsweise die Konjunktion von Venus und Mars als grundlegender Rhythmus ins Auge gefasst und gefragt, wie Merkur sich in diesem Begegnungszeitmaß verhält. Verbindet man die in diesem Rhythmus aufeinanderfolgenden Position Merkurs, entsteht eine 13-gliedrige Figur. Durch diese graphische Darstellung werden übergeordnete unerwartete Resonanzen sichtbar, wie beispielsweise auch eine 14-gliedrige Venusfigur bei Erdnähen von Mars als Zeitmaß und eine 7-gliedrige bei Begegnungen von Mars und Jupiter. Venus erscheint somit in diesen übergeordneten rhythmischen Geschehen in einem überraschenden Zusammenhang zur Zahl 7. Mit Hilfe der modernen astronomischen Rechenalgorithmen kann Warm nun einen ganzen Kosmos von übergeordneten planetarischen Rhythmen und harmonikalen Ordnungen aufzeigen. Im weiteren werden neben der Umlaufszeit, der Jahresbewegung der einzelnen Planeten, deren Rotationsbeziehungen betrachtet. Von Venus ist auf diesem Feld die erstaunliche Abstimmung ihrer Eigendrehung mit dem Erdlauf bekannt: sowohl bei oberer als auch bei unterer Konjunktion weist sie die gleiche Seite der Erde zu. Solche Bindungen unter den Planeten sind deshalb interessant, weil die Rotation im Gegensatz zum Umlauf nicht von einem übergeordneten Gesetz abhängt, sondern vielmehr die “Privatsache” eines Planeten darstellt. Die angestellten Rechnungen und grafischen Darstellungen der Frage, wie die Planeten einander zugewandt sind, zeigen wiederum überraschende Ordnungen, wobei die Zahl 5 und deren Vielfaches in den geometrischen Bildern dominiert.

Dabei ergibt sich für Warm immer wieder die anspruchsvolle Herausforderung, der computergestützten Rechnung mit der große Zeiträume planetarischer Bewegung mühelos erfasst und in Grafiken fixiert werden, durch ideelle Durchdringung Boden zu geben. Ob ästhetisches Gespür oder wirtschaftliche Notwendigkeit: Die Tatsache, dass das Buch in einem gängigen Computerlayout und nicht in einem bibliophilen Satz erscheint, ist vor diesem Hintergrund jedenfalls passend. Am Ende der Kapitel finden sich Schemata, die dem Leser helfen , angesichts der Fülle der harmonikalen Phänomene eine Übersicht des planetarischen Beziehungsgeflechtes zu gewinnen. Zugleich fordern diese Grafiken das räumliche Vorstellungsvermögen enorm heraus. Hier wird deutlich , wie schwach unsere Fähigkeit ist, zeitliche Proportionen unmittelbar zu erfassen, geschweige denn zu empfinden und wie sehr wir auf die Verräumlichung der zeitlichen Phänomene angewiesen sind.

Ein umfangreicher Anhang mit Rechenerklärungen und Datensammlungen lässt das Buch von Hartmut Warm zu einem Lehrbuch der Suche nach Ordnungsformen, nach einem organischen Aufbau im Sonnensystem werden.

Was man dabei dem Autor nicht zum Vorwurf machen kann, was sich aber bei der Lektüre des Buches zunehmend geltend macht, ist das Gefühl, mit jedem weiteren harmonikalem Rechenfund das Leben des Planetensystems ein wenig zu verlieren, obgleich es das Ziel des Buches ist, den Schattenwurf des planetarischen Lebens zu zeigen. Dies liegt zum Teil an der Aufgabe selber, die der Autor verfolgt. Obwohl keine Wissenschaft der Mathematik so nahe steht, wie die Astronomie, führt die geometrische Behandlung der planetarischen Erscheinungsformen in eine Abstraktion, durch die die ohnehin schmale Wirklichkeitsschicht der planetaren Welt den Sinnen weiter entzogen wird. Diese Abstraktion sollte für ein tieferes Verständnis der planetaren Welt keineswegs gescheut werden. Zugleich ist es wünschenswert, dass der Arbeit qualitative “unmathematische” Planetologie zur Seite gestellt wird. So wie Hartmut Warms grundlegende Arbeit Johannes Kepler verpflichtet ist, so sollte jenes zweite Gleis Tycho Brahe folgen, um neue Wege zu einem bewussten kosmischen Heim aufzuzeigen.

Wolfgang Held,
veröffentlicht in “die Drei” 11/03, S. 88 ff